Wenn andere einfach nicht aufhören, zu nerven...

Gehen wir mal davon aus, dass es doch allen Menschen (ausgenommen pathologische Fälle) am Herzen liegen sollte, das F... - Leben ihrer Träume zu leben. Sie tun endlich, was ihnen Spaß macht und was sie wirklich gut können. Sie haben einen traumhaften Partner (oder eine Partnerin) an ihrer Seite. Sie erleben das Erwachsenwerden großartiger Kinder oder die Resozialisation eines armen Straßenhundes aus Bulgarien. Sie haben abends, bevor sie zu Bett gehen große Visionen von wunderbaren Zukunftsträumen und setzen diese behände am nächsten Morgen in die Tat um. Damit verdienen sie so viel Geld, dass sie es gar nicht ausgeben können, weil sie keinen Urlaub mehr bezahlen brauchen: Das Arbeiten fühlt sich Tag für Tag wie Urlaub an.

Haaaach, herrlich, oder?

Du hast das alles schon im Blick. Dein Leben nimmt Fahrt auf. Du hast Persönlichkeitsbildung gemacht, hast Sprachen und Berufe gelernt, Du schreibst gerade an Deiner Biographie (die ein Bestseller wird, is' klar) und bist auf'm Weg. Am liebsten würdest Du jedem Menschlein da draußen, das nicht bei drei auf der Deutschen Eiche hockt, erklären, wie's geht. Und wie sieht die Realität aus?

 

Da sind sie. Die Nörgler. Die Jammertalbewohner. Die Immeranallemwaszumeckernhaber. Die Schlimmpropheten, die in der Zukunft nur Leid, Tod und Sondermüll sehen und die Vorsichtiginerstarrungverfaller, die glauben, dass sie keiner anrührt, wenn sie sich jetzt schon tot stellen. Und egal, was Du zu ihnen sagst, egal wie happy Du ihnen gegenübertrittst, egal wie viele tolle Nachrichten Du ihnen überbringst, sie hören nicht auf damit, ihre alltägliche, solistischen Kakophonie über all die Fürchterlichkeiten dieses Lebens zu singen.

 

Hier kommt endlich die Nachricht, die Dich entspannt:

SIE HABEN RECHT.

 

Puh.

 

Pause.

 

Und das von mir? Miri? Die international zertifizierte NLP Practitioner ausbildet und Charisma-Workshops für Vortragende und Speaker hält? 

JAWOLL!

 

Es ist die blanke, nackte Wahrheit. 

Die andere Seite der Medaille gibt es allerdings auch.

DU hast nämlich auch RECHT.

 

Oooh, wirst Du jetzt denken, na das ist ja mal ne massive Botschaft nacht vorne. Alle haben Recht. Kommt, lasst uns 'nen Stuhlkreis machen und einen Energiestaudamm bauen. 

 

Die Wahrheit ist: Unser Gehirn geht genau so. So schräg.

Auf den ersten Blick.

Die meisten Menschen glauben - und das ist ihr gutes Recht - dass alle Gehirne gleich ticken. In der Grundstruktur ist das auch so. Im Idealfall verfügen wir alle über Stammhirn, Mittelhirn und Neokortex (Großhirn) und diese Dreieinigkeit erledigt eine Menge unseres Tagesgeschäfts völlig ungefragt und im Alleingang. Oder hast Du Dich während des Lesens dieses Artikels gefragt, in welchem Tempo und in welcher Tiefe Du atmest? Nö, genau, das macht nämlich (Gott sei Dank) Dein Stammhirn für  Dich seeeehr zuverlässig.


Das "Problem" ist der sogenannte Neokortex, oder auch liebevoll Großhirn genannt. Hier, genau in dieser Region nämlich, fängt der Mensch an, sich in das einzumischen, was es da draußen zu erleben gibt. Hier sitzen unsere sogenannten "Filtersysteme", die unsere Umwelt zu einem sehr unterschiedlich interpretierbaren Areal machen.

Zum einen gibts den biologischen Filter. Den kennst Du. Hier sind wir Menschen einfach auf das organisch-menschenmögliche begrenzt. Infrarot und Ultraviolett zum Beispiel können wir nicht sehen, weil unsere Netzhaut dafür nicht ausgelegt ist. Diese Farben gibt es trotzdem - auch wenn wir sie nicht als solche erkennen. Genau so ergeht es unseren Ohren mit Ultraschall-Klängen. Dass wir sie nicht hören und verarbeiten heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Du verstehst schon. Was geht, geht. Und mehr nicht. Diese Region ist also halb so spannend für diesen Artikel.

 

Spannender sind die sogenannten psychologischen Filter. Die sind nämlich bei jedem Menschen anders. Wenn wir als Babies zur Welt kommen, dann haben wir kaum welche davon. Die legen wir uns im Laufe des Lebens zu. Ein Baby wird, wenn Du es beobachtest, nämlich alles, wirklich alles, was es auf der Erde entdeckt, erst einmal endgroßartig finden. Die Begeisterung ist kaum zu bremsen. HÄNDE!!?? ICH HAB HÄNDE!! OH MY GOSH, SEHEN DIE PHANTASTISCH AUS!! EINE STUBENFLIEGE!! AAAAH, DAS IST JA TOLL. DIE FLIEGT. UND BRUMMT!! WOOOOAAAH! Und so weiter und so weiter.

 

Im Laufe des Lebens, vorrangig geprägt durch Erfahrungen, die wir machen (Feuer ist schön, aber heiß, autsch!) und limitierende Glaubenssätze der Menschen, die unsere ersten Vorbilder sind (meist die Eltern, Kindergartenerzieherinnen und Grundschullehrer) sind, entwickeln wir eine Art Fernglassystem, das sehr individuell auf uns abgestimmt ist. Durch eine Anzahl "n" von photooptischen Linsen kommen die Informationen von außen bei uns an und werden durch dieses "Bewertungssystem" geschoben. 

Und dadurch entsteht binnen Sekunden und automatisiert eine "Meinung".

So einfach ist das. Hier eine klassische Gehirnsituation, wie sie da draußen ständig stattfindet:

 

Ein Auto fährt schnell an einem Menschen vorbei.

 

Folgende interpretatorische Reaktionen, fein gefiltert, sind nur wenige von Millionen von Möglichen:

 

"Woah, so einen weißen Porsche will ich auch mal fahren."

"Raser! Hier ist Tempo 30!"

"Die sind schon leise geworden, die Motoren der neueren Porsches."

"Da passt nie und nimmer ein Kindersitz rein, in so ein Auto."

"Zwei mal Butter, Roggenbrot, Aufschnitt, Tomaten und Duschgel für Jan... hoffentlich vergesse ich das Duschgel nicht."

 

Als Übung könntest Du Dir überlegen, welche Erfahrungen oder limitierenden Glaubenssätze hinter den einzelnen Deutungen der Situation stehen könnten. Das ist allerdings eher was für die fortgeschrittenen Sprachzauberer unter Euch. Oder Du probierst es einfach mal. Es ist sehr spannend, Aussagen von Menschen über diese Meta-Ebene wahrzunehmen und nicht über die direkte Inhaltsebene.

 

Und jetzt verrate mir bitte, wer von den fünf oben beschriebenen Beispielgehirnen mit seiner Reaktion auf den vorbeifahrenden Porsche recht hat? Und mit welchem dieser Gehirne würdest Du gerne in ein Gespräch einsteigen, nachdem Du die Reaktionen gehört hast? Und was würdest Du zu dem einen oder dem anderen sagen.

 

Sprachlich korrekt übrigens wäre in den ersten vier von den fünf Fällen "Ja stimmt."

Und beim letzten Beispiel? "Toi, toi, toi."

Und das ist vielleicht noch ein bisschen Wegstrecke bis dorthin. Selbst ich erlebe ab und an noch Situationen, wo ich ultramegagerne widersprechen würde. Einfach, weil mein Gehirn massiv in eine andere Richtung spaziert, als das meines Gegenübers.

 

"Und was sollen wir jetzt tun?" würde der aufmerksame Leser fragen. Einfach den anderen alles durchgehen lassen? Egal, was für einen groben Bullshit andere von sich geben?

Hm. Keineswegs.

Ich stelle mir tatsächlich vor, wie es wäre, wenn einer eine These aufstellt, also seine Meinung sagt, und der andere in sehr ernst gemeinter Höflichkeit fragt: "Wollen wir daraus eine anregende, polarisierende Diskussion erwachsen lassen oder sieht die Situation ganz einfach für jeden von uns so aus, wie es sich am besten anfühlt?"


Hier stellt sich - klar - die Frage nach dem Wozu?

Mit einem ökologisch engagierten Menschen, der monatlich ehrenamtlich mit einer vierten Klasse den Müll am Seeufer einsammelt, über Sinn und Unsinn eines weißen Porsches zu debattieren, ist vielleicht bei näherem Hinsehen einfach grober Kokolores.

Wenn es um eine Einigung in der Familie für den Neukauf eines Autos geht oder in einer Firma ein Hersteller für die Firmenwagenflotte ausgewählt werden soll, gibt es einen größeren Bedarf an Commitment.

 

Dann empfiehlt es sich in unserer Welt, dass jeder Mitverantwortliche erst einmal in Ruhe sein Statement auf dem virtuellen Tisch ausbreiten darf. Bei der Annahme, dass jeder Beteiligte recht hat, ist übrigens mit einer insgesamt friedlichen Stimmung zu rechnen. Tatsache. Selbst dann, wenn es sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Thema gibt.

 

Am Ende des Tages könnte es ja sogar an der einen oder anderen Stelle Überschneidungen geben. So wäre auch in der sehr gegensätzlichen Interpretation unserer Beispielszene eine Einigung versteckt:

 

"Woah, so einen weißen Porsche will ich auch mal fahren."

"Raser! Hier ist Tempo 30!"

 

Es gibt für alle Mitarbeiter einen weißen Porsche und es gibt die mahnfähige Regelung, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen peinlich genau eingehalten werden. Auch mit diesem Auto. Ein herrlicher Gedanke.

 

Sollten die "Meinungen" noch weiter auseinander liegen, würde die NLP-Grundannahme "Der flexiblere führt" greifen. Dann ist Kreativität gefragt. Denn wenn ein Gehirn entschieden hat, an eine bestimmte Form der Situation zu glauben, ist Überzeugungsarbeit keine gute Idee. Dann nämlich prasseln Argumente auf Argumente und eine Einigung rückt immer weiter in den Hintergrund.

 

Kreative Gehirne finden dann entweder die berühmte "dritte Alternative" - denn meistens gibt es ein Modell, das bis jetzt noch keiner auf dem Schirm hatte und das auch eine Lösung darstellt - in unserem Fall ein Tesla als Firmenwagen. Der ist umweltfreundlich UND sportlich.

Oder ein aufwändiges Losverfahren. Oder Probefahrten in allen möglichen Autos für die Mitarbeiter und eine Abstimmung. Oder die Zusammenarbeit mit einem Leasing-Unternehmen und jeder fährt ein anderes Auto. Oder oder oder oder. 

 

Die Basis-Idee unter dieser Art von Gesprächsführung bleibt: Jeder hat recht.

Und damit auch die "Nörgler". Selbst, wenn Dir das vielleicht jetzt nicht passen sollte. Sie haben sogar eine wichtige Funktion. Denn wenn es gar keine Jammerer mehr auf diesem Planeten geben würde, an wem oder was würdest Du wachsen wollen? Drum ist auch der kleine Gehirnkobold, der ab und an in Deinem Kopf angeklopft und fürchterlich über die Welt, Deine Mitmenschen oder sogar Dich selbst geschimpft hat, im Grunde zu etwas gut.

 

Wichtig ist nur, ihm ab und an ein Papiertaschentuch in den Mund zu stopfen, dann klingt er lustiger.

 

In diesem Sinne wünsche ich Dir eine spannende Woche voller innerer Erleuchtung, gerade mit den Jammertal-Eingeborenen und Nörgelspezialisten. Sie sind die besten Lehrer für wahre Größe - auf Deiner Seite.

 

Beste Grüße und danke für's Lesen.

Miri